Wie Beethoven Dostojewski ein kaleidoskopisches Kleid reichte
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Ein intertemporäres Gespräch
Gewicht, Bedeutung, Schwere: Wer an Dostojewski denkt, denkt an seine schwergewichtigen fünf großen Romane, die sogenannten “fünf Elefanten”, an Schuld und Sühne; wer anBeethoven denkt, denkt an die „neun Sinfonien“, an Pathos und Schicksal. Doch trifft eine späte Komposition Beethovens auf eine späte Erzählung Dostojewskis, kann alles auch ganz anders ausgehen.
Treffen sich zwei Verzweifler: Dostojewski träumt von der verbindenden Kraft der Liebe, einem neuen “goldenen Zeitalter”. Entgegen allen Wissens um die Undurchführbarkeit seiner Idee, beharrt er in geradezu paradoxer Widersprüchlichkeit darauf, erzählen, “verkünden” zu wollen. Beethoven hält nach allen politischen und menschlichen Enttäuschungen unbeirrbar fest an dem Glauben an ein elysäisches Reich der Freiheit, das er im Menschen ebenso veranlagt sah, wie auch seine finstersten Gegenkräfte, deren Wirken neben seiner Krankheit seine letzten Lebensjahre überschattete. Beide vertrauen und nähern sich von verschiedenen Seiten dem “Geist, der edle und bessere Menschen zusammenhält auf diesem Erdenrund und den keine Zeit zerstören kann”, wie Beethoven in einem Brief an die Widmungsträgerin der Sonate op. 109, die 19jährige Maximiliane Brentano, schreibt.
Dabei überraschen die jeweils gewählten Tonarten: Dostojewski – in seiner Jugend ein glühender Schillerianer – schreibt hell und intensiv über seinen Traum vom Goldenen Zeitalter; Beethoven komponiert seine Sonate von 1820 in E-Dur, der himmlischen, engelhaften Tonart. Darüber hinaus klingt in Dostojewskis Traum das “Alle Menschen werden Brüder” aus der 9. Sinfonie von 1824 nach, die wiederum in einzelnen Passagen der Sonate von 1820 vorausklingt. Als besäße Beethoven Gerätschaften, die Zukunft einzufangen, träumt er mit seiner Sonate gleichzeitig Dostojewkis Traum weiter und umkleidet die unterschiedlichen Stimmungen der Erzählung: zerbrochene Spiegelstücke , eingewebt in einen bodenlangen Wintermantel.
Der Undercover-Traditionalist Arnold Schönberg, dessen Sechs kleine Klavierstücke op. 19 die einzelnen Abschnitte der phantastischen Erzählung atonal akupunktieren, hat – wiederum in seiner Zeit – wiederholt Erfahrungen mit dem Gefühl der Lächerlichkeit machen müssen: Menschen, die teilweise gezielt und ausgestattet mit Trillerpfeifen seine Auftritte besuchten, wollten ihn und seine Musik lächerlich machen; er sollte als lächerlicher Mensch dastehen. Aber Schönberg, nicht umsonst „konservativer Revolutionär“ genannt, zeigt uns unbeirrt, dass ein scheinbar lächerlicher Gedanke nicht immer lächerlich sein muss, sondern, im Gegenteil und ganz im Sinne der Brüder Karamasow, das Herzstück des Ganzen seiner Epoche sein kann: aus eben dem “Geist, (…) den keine Zeit zerstören kann, dieser ist es der jetzt zu Ihnen spricht.”
Ausgehend von der Vorstellung, dass beide Komponisten und der Autor des Abends, ungeachtet ihrer unterschiedlichen Lebzeiten, untereinander verbunden sind – Beethoven weist in seinem Spätwerk über die Romantik hinaus bis in Schönbergs Moderne hinein – erfinden der Pianist Wilhelm Rodenberg und der Schauspieler Carsten Bender ein Gespräch hinweg über verschiedene Kulturen und Zeiten, nach dem Motto
Alles das Eilende
wird schon vorüber sein;
denn das Verweilende
erst weiht uns ein.
Rilke, Die Sonette an Orpheus, Erster Teil, XXII